Die in der Kaiserstraße verschlauchte City war städtebaulich schon immer eine Fehlgeburt. Inzwischen ist sie zur Rempelmeile von Kettenläden entartet. Sie ist aber nicht nur eine abartige Sonderform von regionalem Zentrum. Sie ist obendrein die Mitte eines Zentralnetzes für Straßenbahnen. Diese Netzart ist aufgrund ihrer sehr geringen Kapazität größeren Verkehrsmengen nicht gewachsen. Überlastung und Stau sind ihr angeboren. Trotzdem wurde mit dem aktuell starken Ausbau der Straßenbahn die City „Kaiserstraße“ zugleich zu einer Art Regionalbahnhof gemacht. Die Stadt hätte wissen müssen, welches Unheil sie heraufbeschworen hat, als sie den erst 1913 aus der Innenstadt, der Kriegsstraße, heraus verlagerten Bahnhof nun in die noch viel sensiblere Kaiserstraße, die City selbst, zurück gebracht hat.
Das Verführerische dabei war: Die Stadt war mit dem Ausbau des schienengebundenen öffentlichen Personennahverkehrs (ÖPNV) zunächst sehr erfolgreich. Er gelang jedoch nahezu nur immer weiter hinaus in die Region. Der Jubel ist inzwischen umgekippt. Denn mit der Zeit war das Gedränge von mehr und mehr Zügen auf der Kaiserstraße zum Crashproblem mißraten. Die fraglos starke Belastung ist unterdessen nach populistischer Manier zu etwas Unerträglichem aufgebauscht worden: „Man käme vor lauter Bahnen nicht mehr von der einen zur anderen Straßenseite!“ Also: „Weg damit!“ Die Stadt glaubt inzwischen, sie habe Bevölkerung genug terrorisiert, um machen zu können, was sie will; die Gesamtproblematik Verkehr, Städtebau, Soziales und Wirtschaft nämlich auf den „Stadtbahn-Tunnel“ unter der Kaiserstraße verkürzen, auf eine Propaganda für die falsche Lösung: „Alles unter die Erde!“
Fehlentscheidungen haben in Karlsruhe Tradition: Es ist ab den 60er Jahren Stadtgeschichte, mit den Großprojekten ein um das andere Mal häßlicher zu werden. Es begann damals mit der Verbreiterung der Kaiserstraße und dem Bau der Kriegsstraße als klaffende Wunde querdurch die Innenstadt trennend, setzte sich mit dem Abriß der Altstadt, der Zerstörung des Fächers durch die Fritz-Erler-Straße, die Eingriffe in die Großlandschaft nördlich des Schlosses fort und steht heute bei der Umwandlung der City zur gesichtslosen Rempelmeile und dem Millionengrab „Thermoselect“.
„Alle Staatsgewalt geht vom Volke aus“ (Artikel 20 Grundgesetz): Die Idee von den unterirdischen Straßenbahnen unter der Kaiserstraße war unsinnig. Sie war dann auch 1996 am Bürgerentscheid, am Volk als Souverän, gescheitert. Statt dessen sollte nach einer oberirdischen Lösung gesucht werden. Die Anzahl der Stimmen gegen den Tunnel war so hoch, daß der Oberbürgermeister hätte stolz sein können, wenn er ähnlich viele bekommen hätte.
Die Mißachtung des Bürgerentscheids war der Auftakt zu einem Falschspiel. Die Stadt verfolgt jetzt Absicht, das Nein der Bürgerschaft zum Tunnel in eine Zustimmung umzudrehen:
Oberbürgermeister und Gemeinderat empörten sich sofort nach dem Entscheid gegen den Bürgerwillen. Sie warben nach langer Vorbereitungszeit Herbst 2001 auf einer als Bürgerforum einberufenen Versammlung erstmals wieder in aller Öffentlichkeit heftig für den „Stadtbahn-Tunnel“ - ohne sich jemals glaubwürdig um eine oberirdische Lösung bekümmert zu haben -. Die Bezeichnung „Forum“ wurde als Täuschung verwendet, um mit der Popularität des Wortes möglichst viele Teilnehmer anzulocken.
Nun ist es nicht so einfach, eine Bevölkerung zu einem Ja zu einem Tunnel zu bringen, den sie gerade deutlich abgelehnt hat. Daß der 2002 zum Wiederholungsvolksentscheid vorliegende „Stadtbahn-Tunnel“ dem Grunde nach nichts weiter ist, als eine wegen wesentlich höherem Unfallrisiko erheblich schlechtere Abart, ist ein Skandal. Dies hat die Stadt unter Erfolgszwang gestellt. Demokratie, Realitätssinn und Wahrhaftigkeit sind ausgeblendet worden:
Mit dem Abbau der Standmikrophone kurz vor Beginn und der Ansage, Diskussionen und Erklärungen aus dem Publikum seien unerwünscht, wurde einmal mehr offenkundig, das Forum als reine Pro-Tunnel-Show laufen lassen zu wollen. Daß der Oberbürgermeister seinen Monolog dazu dann im Schlußwort nur als seine Meinung verstanden wissen wollte, ist nach über 2000 Jahren eine allzu abgenutzte Rhetorik. Sie hat sehr geschadet und verärgert, weil dadurch die Bürgerbeteiligung nicht mehr ergebnisoffen sein kann.
„Wes Brot ich ess’, des Lied ich sing.“ Der lange Prozeß von Anfang November 2001 bis Ende Oktober 2002 hat viele Akte. Bis Mitte Juni wird in den Arbeitskreisen und Propagandabühnen (Foren) Organisierte Volksverdummung gespielt. Das Moderatorenteam spielt dabei nicht Vermittler, sondern Rattenfänger und frißt Kreide. Es hat Söldner im Rathausdienst zu sein und das Volk zu Stimmvieh zu dressieren, damit die Stadt den Tunnel kriegt.
Damit der Bürgerentscheid auch ja das Ja zum Tunnel bringt, wird das Falschspiel mit dramaturgischen Mitteln abgesichert: Als Richtschnur für die Projektgruppen und Arbeitskreise dienen die zwei Mogelpackungen. Zur Korrektur die Protokolle und Konsensveranstaltungen: Bei so etwas Gegensätzlichem wie - Feuer oder Wasser - ober- oder unterirdischer Lösung muß die Frage erlaubt sein: Was da die Suche nach einem Konsens überhaupt soll?
Die Frage „City 2015“; welche „Zukunftschancen für die Karlsruher Innenstadt“ also bis zu diesen ‚Prognosezeitpunkt’ von positiver Bedeutung und deshalb zu fördern sind, ist eine umfassende, die zwangsläufig auch Probleme der Politik, der Gesamtwirtschaft, der Einzelhandels, des Städtebaus, des Gesamtverkehrs und des Sozialen berühren muß. Dennoch ist der Prozeß zu einer technokratischen Veranstaltung degeneriert worden. Er ist daher nicht repräsentativ. Denn der Bürgerentscheid kann nach Allem nur Ja oder Nein zum Tunnel bringen. Er ist unter dem Niveau des demokratisch Tragbaren. In diesem Licht ist der Umgang mit dem Bürgerentscheid 1996 eine Beleidigung der Demokratie.
„Karlsruhe kennen, Karlsruhe lieben.“ Lieben? Karlsruhe lieben ist eine schmerzliche Erfahrung, wenn ich an alle die tragischen Ereignisse der letzten Zeit denke, die es verstümmelt und so schnell eine häßliche Stadt haben werden lassen.
Knut Jakob
Erzbergerstr 21