Heimfahrt in die Barbarei

Arezzo, Gubbio, Perugia; Florenz, Bologna sind beispielhaft. In Italien läuft gerade eine Stadter-neuerungswelle. Was sehenswert war, gewinnt durch die Sanierung. Der Erfolg gründet auf der strikten Anerkennung des Denkmalschutzes in der italienischen Gesellschaft.

Die Pflege des historischen Erbes gibt ein beeindruckendes Zeugnis für Kultur und Demokratiever-ständnis auf hohem Niveau. Die historischen Bebauung wird nicht zu Traditionsinseln oder Museen verfremdet. Der Bestand wird nicht nur vom einzelnen, sondern von der Mehrzahl der Bürgerinnen und Bürger diskutiert, erkämpft und belebt. Der neu gewonnene Charme gibt den Städten eine hohe Lebensqualität.

In Karlsruhe hingegen schockiert die durch die Kriegsstrasse gespaltene und den Abriß der Altstadt bis zur absoluten Gesichstlosigkeit kaputtsanierte Innenstadt. Die in der Kaiserstraße zwangsverschlauchte City ist ein Geburtsfehler. „Bahnhof Karstadt“: Schuld an dem Chaos aus zu vielen Menschen und dem Straßenbahngedränge hat nicht irgendein unvorhersehbares Schicksal, sondern die Rückverlagerung des Bahnbetriebs direkt in die City. Das gegenüber Rasternetzen leistungsschwache Zentralnetz verschärft die mißliche Situation: Der Tunnel wäre eine über die Bahnhofsfehlplanung von 1841 weit hinausgehender Fehlleistung, weil er die heutige Verkehrslast nicht wird aufnehmen können und zur Aufnahme weiterer Linien keine Kapazitätsreserven bietet. Mit dem Tunnel würden die planerische Unfähigkeit mit den Partikularinteressen am überhöhten Miet-, Pachtzins- und Preisniveau kombiniert:

Der Tunnel ist kein Mittel zur Rückgewinnung des Karlsruher Charmes. Er ist nur eine Mode, von der sich die europäischen Stadt- und Verkehrsplaner allgemein abgewandt haben. Das Karlsruher Regionalverkehrskonzept „Straßenbahnen auf die Bahngleise“ ist zu einer der vielen Kalamitäten geworden, von der die Stadt nicht los kommt. Das zwanghafte Festhalten an Entwicklungen, die von der Zeit überholt sind, gehört zur Tragik der Stadt. Geblendet vom anfänglichen Ruhm entgeht auch den Karlsruher Straßenbahnplanern, daß der bislang effektive Ausbau des Schienennetzes in eine Krise geraten ist. Der Erfolg kehrt sich in sein Gegenteil um. Dies hat etwas mit der dem Zentralnetz eigenen Schwäche zu tun: Der zum Mißerfolg führende Faktor ist die sehr begrenzte Kapazität des Zentralnetzes. In ihm treffen alle Züge im Zentrum zusammen. Die Kapazität ist deshalb bereits so erschöpft, daß es im neuralgischen Netzmittelabschnitt zu einer übermäßig hohen Zugfrequenz - und regelmäßig zu Staus gekommen ist: Da rund 600 m Netzmitte gleichzeitig City ist, sei - wie man sagt - die Grenze des Erträglichen deutlich überschritten. Bei der Klage über den Imageverlust wird verdrängt, daß die Kaiserstraße - die nie eine Flaniermeile war - zu einer Rempelmeile mit Kettenläden verkommen ist. Dies ist weit weniger auf das Zuviel an Straßenbahnen als auf den Strukturwandel des Einzelhandels zurückzuführen.

Die Bürgerinitiative „Stoppt den Stadtbahntunnel – für eine lebendige Innenstadt“ hält eine Entlastung der Kaiserstraße für notwendig. Allerdings mit einer oberirdischen Lösung; und zwar mit einer, die das längst überholte Zentralnetz in ein deutlich höher qualifiziertes Rasternetz umwandeln hilft. Die Stadt muß sich von der Illusion verabschieden, daß die einmal konzipierte Regionalerschließung "Straßenbahnen auf die Bahngleise“ so erfolgreich bleiben könne wie bisher. Der jahrelange Erfolg mit der Regionalerschließung hat blind gemacht Die Notwendigkeit des innerstädtischen Ausbaus wurde nicht gesehen. Die Kapazität des Zentralnetzes ist inzwischen deutlich überfordert; das Projekt droht daher zu kippen. Abhilfe jedoch kann nicht die Untertunnelung der Netzmitte bringen (die Verdoppelung der Gleise also), sondern allein der Umbau zu einem leistungsstarken Maschennetz. Daß damit gleichzeitig der Pflicht zur günstigeren Erschließung und Stadtreparatur durch die Umgestaltung der Kriegsstraße Genüge getan werden kann, wird fanatisch verkannt.

Kriegsstraße, Sanierung, Fritz-Erler-Straße, Kronenplatz, Zentralnetz: Alles waren Meilensteine der mißlungenen Stadtentwicklung der letzten Jahre. Setzen Nordbahn und Tunnel die Tradition dieser Großprojekte fort? Die Stadt ist mit jedem häßlicher geworden. Zukunft hat nichts mit jener blauäugigen Naivität zu tun, die jedes dieser Projekte ungeprüft für gut befand.

Knut Jakob
Erzbergerstr 21