Presse-Erklärung von Mehr Demokratie zum 3.7.2002:
Mehr Demokratie zieht Bilanz
des Verfahrens „City 2015“:
Das groß angelegte Bürgerbeteiligungsverfahren „City 2015“
in Karlsruhe hat die geweckten Erwartungen verfehlt. Es ist aus Gründen,
die vor allem die Stadt zu vertreten hat, gescheitert.
Mehr Demokratie e.V., Aktionskreis Karlsruhe, fand die Idee einer
Bürgerbeteiligung grundsätzlich richtig, sofern gewährleistet gewesen wäre,
dass das Verfahren demokratisch, fair, transparent und ergebnisoffen ist.
Doch das Bürgerbeteiligungsverfahren „City 2015“ hat diese
Kriterien nicht erfüllt.
Mehr Demokratie sah seine Aufgabe darin, ein solches Verfahren kritisch
zu begleiten, damit dem Wunsch der Bürgerinnen und Bürger entsprochen
wird. Wir ziehen deshalb folgende Bilanz:
- Von Anfang an hat das Bürgerbeteiligungsverfahren „City
2015“ darunter gelitten, dass die Gemeinderatsmehrheit und die
Spitze der Stadtverwaltung voreingenommen waren. Der Gemeinderat hat
am 23.10.2001 beschlossen, dass die Verwaltung weiter am
Kaiserstraßen-Bahntunnelprojekt arbeiten soll. Zugleich wurde ein
offenes Verfahren der Bürgerbeteiligung beschlossen das auf Grundlage einer
Empfehlung für dieses Projekt stattfinden sollte – ein doppelter
Widerspruch. Oberbürgermeister Fenrich hat seinen Wunsch nach einer
bahnfreien Kaiserstraße weiter öffentlich ausgesprochen, statt sich neutral
zu verhalten und seine Meinung bis zum Ende des
Bürgerbeteiligungsverfahren zurückzustellen; er hat sie vielmehr in der
Broschüre „City 2015. Fragen und Antworten“ noch einmal
ausführlich veröffentlichen lassen.
Immer wieder hat OB Fenrich seine Position missbraucht,
um seine jeweiligen persönlichen Vorstellungen, von der
„Totallösung“ bis zur
„Kombilösung“, als die
einzig in Frage kommende, beste Lösung zu verkaufen.
Veröffentlichungen in der Stadtzeitung und Anzeigenschaltungen in den
Karlsruher Medien, wie diverse „City 2015-“ und
„Karla-“Anzeigen, sowie die
Bekanntgabe einer überholten
und nicht nachprüfbaren Umfrage aus dem Jahre 2001 haben die
wechselnden Vorstellungen des OB verbreitet. Hierbei hat die
Kommunalentwicklungs-Gesellschaft den Auftrag (für 500.000 Euro
Honorar) des Gemeinderates, bei der Moderation des Verfahrens auf
neutrale Information der Bevölkerung zu achten, verletzt.
Es ist der
Eindruck entstanden, dass die Stadt das Beteiligungsverfahren beeinflusst
hat, um eine schon vorher fest stehende Politik bestätigt zu bekommen.
- Der entstandene Eindruck wird durch weitere Fakten verstärkt.
Die Stadt hat auf Fragen der Bürgerinnen und Bürger keine oder
tendenziöse Informationen gegeben. Die Kritik an den beiden so
genannten Informationsveranstaltungen im Rahmen des Verfahrens ist
einhellig. Information ist für die Bürgerbeteiligung unerlässlich, aber
wesentliche Fragen wie nach den Folgen des ECE-Zentrums für die
Verkehrsplanung und nach den Chancen einer Umgestaltung der
Kriegsstraße blieben unbeantwortet.
Voraussetzung für eine
Entscheidungsfindung ist die vollständige Information; diese war nicht
gegeben.
- Die mit der neutralen Moderation beauftragte
Kommunalentwicklung hat zugelassen, dass die
Ergebnisse der
Bürgerarbeitskreise (mit 500 engagierten Bürgerinnen und Bürgern)
unzureichend und verfälschend in der Stadtzeitung veröffentlicht wurden.
So wurde z.B. unterschlagen, dass als wesentliches Ziel die Umgestaltung
der Kriegsstraße empfohlen wurde, mit dem Nebeneffekt der Förderung der
Südentwicklung der Innenstadt bei gleichzeitiger Entlastung der
Kaiserstraße.
Die Empfehlung bezüglich der Kaiserstraße ging dahin, ein oberirdisches
Straßenbahnangebot beizubehalten, und auf eine Untertunnelung zu
verzichten. Die Bürgerarbeitskreise haben erkannt, dass die
Kriegsstraßentrasse zur Entlastung der Kaiserstraße führt.
Dieses
wesentliche Ergebnis der Bürgerbeteiligungsgruppen wurde der
Öffentlichkeit vorenthalten (belegt durch den
Offenen Brief der
Sprecherinnen und Sprecher der Arbeitsgruppen).
- Die anschließenden Facharbeitskreise sind zu den gleichen
Ergebnissen gekommen.
- Das Expertenforum bestand aus 23 so genannten Experten: Elf
davon sind Mitarbeiter der Stadt, sechs gehören den VBK an, der
PTV-Vertreter arbeitet für die Stadt und drei Personen erarbeiten das
U-Strab-Projekt „City-Tunnel 2015“ für die Stadt; lediglich
zwei Beteiligte können als neutrale, unabhängige Teilnehmer angesehen
werden.
Für ein ergebnisoffenes Verfahren wäre ein Gremium aus neutralen
Sachverständigen erforderlich gewesen, die unvoreingenommen die
Ergebnisse der vorgeschalteten Arbeitsgruppen optimal auswerten.
- Das Bürger- und Besuchergutachten wurde entgegen den
ursprünglichen Vorgaben zusammengefasst. Außerdem war vorgesehen
dass im Bürger- und Besuchergutachten nur die schon vorliegenden
Ergebnisse bewertet und nicht, dass neue Vorschläge gemacht werden.
Da den Sprechern der vorgeschalteten Arbeitskreise keine Gelegenheit
gegeben wurde, diesem eher uninformierten Kreis ihre Ergebnisse
darzustellen und zu erläutern, muss davon ausgegangen werden, dass die
Stadt ihre Vorstellungen diesem Kreis in den Mund gelegt hat. Auf diese
Weise ist das von allen Seiten unerwartete Zustimmungsergebnis (95%) für
eine wie auch immer gedachte U-Strab erklärbar. Wobei der Wunsch nach
einer fußgängerfreien Kaiserstraße nicht automatisch die Untertunnelung
dieser bedeutet.
- Die zur Veröffentlichung bereitgestellten Berichte über das
Bürger- und Besuchergutachten wurden durch Anweisung der Verwaltung
der Öffentlichkeit zunächst vorenthalten und sollten erst am Tag nach dem
II. Bürgerforum heraus gegeben werden. Erst durch Druck der
Gruppensprecher wurde dieses Vorhaben aufgegeben.
- Im Bürgerforum II war vorgesehen, dass die Sprecher der
Arbeitsgruppen ihre Ergebnisse zusammenfassend vortragen.
Soweit bekannt ist wird das nicht mehr möglich sein.
Das ist eine Verletzung der
Informationspflicht gegenüber den Bürgerinnen und
Bürgern.
- Der aktuelle Lösungsvorschlag des OB
(„Kombi-Lösung“) kann nicht als ernsthafte Konsequenz aus
den Bürgerbeteiligungsverfahren betrachtet werden, da weder die
Arbeitsgruppen, noch die Facharbeitskreise, noch das Expertenforum eine
solche Lösung vorgeschlagen haben. Den von den Arbeitskreisen
geforderten Umbau der Kriegsstraße beabsichtigt der OB nicht bindend und
vor allem nicht vorweg in Angriff zu nehmen.
Wenn der OB wie
angekündigt zuerst die U-Strab verwirklichen will, während ein Umbau der
Kriegsstraße in den Sternen steht und die Schienen weiterhin in der
Kaiserstraße liegen bleiben, dann ist die „Kombi-Lösung“
auch kein neuer Vorschlag, sondern läuft auf die alte, bis heute von der
Bevölkerung nicht gewünschte Mischlösung hinaus.
Wir fordern den OB und den Gemeinderat deshalb auf, dem kommenden
Bürgerentscheid eine Fragestellung zugrunde zu legen, die dem Ergebnis
des Bürgerbeteiligungsverfahren gerecht wird!